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Darf eine Dentalhygienikerin in Deutschland anästhesieren?

15.12.2012

Die intensive, breitgefächerte und langwierige Ausbildung von Dentalhygienikerinnen verführt häufig dazu, den DHs mehr Kompetenzen zuzusprechen, als ihnen von Behörden, Kammern, (ärztlichen) Berufsverbänden und nicht zuletzt Gerichten in tatsächlichem und rechtlichem Umfange zugebilligt werden.

Sowohl für den Zahnarzt als auch die DH selbst bedeutet die unerlaubte Ausweitung des Tätigkeitsfelds ein beträchtliches Risiko sowohl in berufsrechtlicher, strafrechtlicher und nicht in zuletzt finanzieller Hinsicht.

Im Folgenden soll die Problematik kurz dargestellt werden:

1. Der Begriff der DH und höchstpersönliche Leistung des Zahnarztes

Die DHs sind nach wie vor ein besonders geschultes zahnmedizinisches Fachpersonal, jedoch keine Ärzte. DH ist kein (approbierter) Heilberuf und kein eigenes Berufsbild. Infolgedessen darf die DH keine Tätigkeiten ausüben, die zum Kernbereich der Zahnheilkunde gehören, mithin vom Zahnarzt höchstpersönlich (ZHG, §15 I SGB V, 32 I ZA-ZV, § 4 I BMV-ZÄ) ausgeführt werden müssen.

Zum Kernbereich des Zahnarztes gehören insbesondere:

  • Untersuchung
  • Diagnose
  • Therapieplanung und –entscheidung
  • invasive diagnostische und therapeutische Eingriffe
  • sämtliche (!) Injektionen
  • sämtliche operative Eingriffe

2. Delegierbare Aufgaben

Die Bundeszahnärztekammer hat im September 2009 den Delegierbarkeitsrahmen kommentiert und konkretisiert. So kann gem. § 1 V ZHG insbesondere was folgt delegiert werden:

  • Radiologische Untersuchungen
  • Erstellen von Röntgenbildern
  • Dokumentation und Abdruck
  • Trockenlegen des Arbeitsfeldes
  • Legen und Entfernen provisorischer Verschlüsse
  • Herstellung provisorischer Kronen und Brücken
  • Füllungspolituren
  • Karies-/Parodontoseprävention: lokale Fluoridierung, Versiegelung, Anfärben, Kariesrisikobestimmung, Motivation und Instruktion, Entfernen von harten und weichen und erreichbaren subgingivalen Belägen, Wundversorgung
  • KfO: Aus- und Einligieren, Auswahl und Anprobe von Bändern, Entfernen von Kunststoffresten

Die Vorschrift des § 1V ZHG ist nicht abschließend. Eventuelle weitere delegierbare Aufgaben müssen aber vom Schwierigkeitsgrad und unter dem Gesichtspunkt der möglichen Gefährdung des Patienten mit dem Katalog des § 1 V ZHG vergleichbar sein. Gleichzeitig müssen sich die Leistungen in den jeweiligen Aus-, Fort-, Aufstiegs- oder Weitebildungsverordnungen der jeweiligen Stufe wiederfinden.

Die Ausbildung der DH erstreckt sich hierzu korrespondierend auf nichtinvasive, vor- und nachbereitende Maßnahmen wie extra- und intraorale Befunderhebung, Fotografien, Mundhygienebefunde, Sondierung von subgingivalen Ablagerungen, Registrierung von Furkationsbefall, Zahnbeweglichkeit und Rezessionen, Anlegen und Entfernen von Verbänden, Mitarbeit in der postoperativen Nachsorge, Messung von Sondierungstiefen, Erfassung von Plaque-Retentionsstellen, Testverfahren zur Bestimmung des Karies- und Parodontoserisikos, Herstellen der Hygienefähigkeit der Mundhöhle, supra- und subgingivales Scaling, Fluoridisierungsmaßnahmen, Aufklärung und Nachsorge (z.B. Baustein 3 FortbODH Bayern). Auf diese Tätigkeiten ist der DH in seiner Berufsausübung beschränkt.

Delegieren heißt dabei die Anordnung der delegierbaren Leistung an eine zu dieser Leistung qualifizierten Fachkraft, wobei die Ausübung vom Zahnarzt überwacht und kontrolliert werden muss (Aufsicht). Die delegierbaren Leistungen beschränken sich nach wie vor auf nichtinvasive Tätigkeiten, insbesondere auf Vor- und Nachbereitungstätigkeiten bezogen auf die konkrete zahnmedizinische Behandlung. Dabei ist die Delegationsperson (hier: DH) beschränkt auf den Bereich, welcher ihr durch Weisung sowie den Ausbildungs- und Delegationskatalog eröffnet worden ist. Die Weisung selbst darf sich nur innerhalb des Delegationsrahmens bewegen.

3. Entwicklungen in der Anästhesie

Die lokale oder Leitungsanästhesie erfolgt nach wie vor durch Injektionen. Selbige sind – wenn nicht schon die Anästhesie als solche Kernbereich des Zahnarztes ist – ureigene Aufgaben des Zahnarztes und damit einer Delegation vollständig entzogen. Ein DH darf auf keinen Fall im Wege der Behandlungsvorbereitung Anästhesien in Form von Injektionen verabreichen! Etwas anders gilt für die lokale Betäubung mittels Creme oder Gel.

Immer häufiger arbeiten die Zahnärzte mit Lachgassedierung. Dabei ist schon umstritten, ob und wenn ja mit welcher Fortbildung ein Zahnarzt überhaupt eine solche Lachgassedierung verabreichen darf. Nach dem vielbeachteten Gutachten des Prof. Deutsch aus Göttingern, der zu dem Schluss kam, ein gut ausgebildeter Zahnarzt dürfe bei gering gefährlichen medizinischen Eingriffen mit Lachgas auch ohne Hinzuziehung eines Anästhesisten arbeiten und dem Fortschritt der Technik, der mittlerweile eine automatische Lachgassedierung mit recht geringem Risiko für den Patienten gewährleisten soll, wird dies in naher Zukunft durchaus eine Alternative zu den üblichen Anästhesien durch Injektion im Mund werden. Freilich wird auch das medizinische Personal in die neue Form der Anästhesie mit eingebunden werden, was z.B. die Vorbereitung und Nachsorge betrifft. Allerdings ist und wird das Verabreichen einer Anästhesie „ureigene“ Aufgabe des Arztes bleiben und dürfte daher schon allein wegen ihrer (abstrakten) Gefährlichkeit nicht delegierbar werden. Auch wenn es sich nicht (mehr) um Injektionen handelt, eine Verabreichung einer Narkose durch medizinisches Personal dürfte in naher Zukunft nicht möglich sein.

4. Im Ausland erworbene Kenntnisse

Die vorangestellten Grundsätze gelten im Übrigen auch dann, wenn die DH im Ausland ausgebildet wurde und besondere oder erweiterte Kenntnisse mitbringt. Die Anerkennung im Ausland erworbener Fähigkeiten durch die jeweilige Landeszahnärztekammer (z.B. § 4 BesRvPrüfDH Bayern) führt dazu, dass die Betroffene als DH in Deutschland tätig werden darf, dann allerdings im Rahmen der landesrechtlichen und nationalen Bestimmungen. Eine Ausdehnung des Tätigkeitsfeldes oder des Delegierbarkeitsrahmens an die (besonders fähige) DH über den gesteckten Rahmen wird durch die erweiterten Kenntnisse nicht erreicht. Kurzum: selbst wenn eine DH in der Schweiz oder in den USA selbständig sedieren, operieren oder diagnostizieren durfte – sobald und solange die Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wird, darf sich der DH nur in dem vorgenannten abgesteckten Delegationstahmen bewegen.

5. Risiken der (Über-)delegation

Soweit der Delegationsrahmen überschritten wird, hat dies für DH und Zahnarzt neben den berufs(ordnungs)rechtlichen Konsequenzen vom Disziplinarverfahren bis hin zum Zulassungsentzug bzw. zum Widerruf der Erlaubnis zur Tragung der Berufsbezeichnung unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen (Körperverletzung, Betrug).

Darüber hinaus lohnt sich eine Überdelegation auch in finanzieller Hinsicht nicht:

Da die nicht delegierbaren Leistungen vom Zahnarzt höchstpersönlich erbracht werden müssen, sind diese, sollten sie unerlaubterweise an medizinisches Personal delegiert worden und von diesem erbracht worden sein – unter Umständen nicht abrechenbar. So hat z.B. das Bundessozialgericht einen Rückforderungsbescheid der KZV (hier ging es um rund € 100.000,00 für drei Quartale, die zurückgefordert wurden) bestätigt (BSG B 6 KA 79/04 B, Entscheidung vom 01.09.2004). Dabei argumentierte das Gericht damit, dass dem Zahnarzt eine Vergütung nur für solche Leistungen zustünde, die im Einklang mit den einschlägigen rechtlichen Vorgaben, insbesondere den berufsrechtlichen Bestimmungen erbracht worden seien. Fehle es daran, stehe dem Zahnarzt die Vergütung auch dann nicht zu, wenn die Leistung qualitativ einwandfrei gewesen sei. Handelt es sich also um eine Leistung, die nur der Zahnarzt eigenhändig erbringen darf (wie z.B. Injektionen etc.), kann er diese nur abrechnen, wenn er sich auch selbst erbracht hat. Selbst wenn seine DH nach Delegation die Leistung genauso gut oder sogar in höherer Qualität erbracht hat, ist diese dann nicht abrechenbar.

Dies gilt im Übrigen für Vertragszahnärzte und reine Privatzahnärzte (§ 4 II GOZ) gleichermaßen.

Eine Delegation nicht übertragbarer Leistungen an medizinisches Fachpersonal kann daher nicht nur straf- und berufsrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch richtig ins Geld gehen.